23.6.06

So ist es in WM-Deutschland

Schon am Eröffnungsspieltag in München fiel mir dieses Mädchen auf: Dreadlocks, Piercings in Nase, Zunge, Nabel, Wickelrock. Eine typische Kifferbraut, hätte man gesagt, ein typischer Fan von - sagen wir: Elfenbeinküste oder Togo oder irgendetwas anderes Schwachem, Exotischem,
Weitwegem - aber nein, die Dame hatte: schwarz-rot-gelb bemalte Wimpern, chwarz-rot-gelbe Bänder im Haar. Ich laufe mit drei Gummibändchen am Arm durch die Gegend, zwei vom Karstadt in gelb und rot, eins vom "Playboy", in schwarz. Conna aus München hat mit fast vierzig Jahren zum ersten Mal in ihrem Leben eine Deutschlandfahne gekauft. "Schwarz-rot-geil", wie die Bild-Zeitung titelt, hat Alle erfasst.

Dabei ist das dann doch alles sehr multikulti: Am Hauptbahnhof in München klatschte man den Costaricanern Beifall für ihre Fangesänge - vielleicht weil man wusste, dass es eh nichts helfen würde. In Hamburg hatte der Scampibrater bei "Gosch" eine Saudi-Arabien-Fahne auf dem Rücken. Und die drei Krankenschwestern aus Brandenburg auf der Berliner Fanmeile probten am Tag des Deutschland-Ecuador-Spieles schon mal die "Leeds United"-Hymne, um sich abends mit den englischen Fans besser verstehen zu können.

Berlin lässt sich ungern verschlucken: Selbst bei Großevents wie Loveparade oder Marathon ist ein paar Hundert Meter ab vom Spektakel alles wie immer. Diesmal nicht. Am Bahnhof Friedenau zeigt eine kleine Schiefertafel die aktuellen Spielstände an. Von überall her dröhnt "Vierundfünfzigvierundsiebzigneunzigzwotausendsechs" von Sportfreunde Stiller. Selbst im ach-so-geilen Prenzlauer Berg hängen sie Deutschland-Fahnen aus den Häusern. Es gibt kaum ein Restaurant, das sich wm-freie Zeit leisten zu können glaubt.

Der schönste Guckort: Argentinien-Holland auf der Bettlounge im Spindler&Klatt, mit Blick auf die Spree und die Industrieruinen und mit eiskaltem südafrikanischen Chardonnay.

Der populärste Guckort: Deutschland-Ecuador auf der Fanmeile am Brandenburger Tor mit Techno-Skihütte und Meterbratwurst.

Der abgefahrenste Guckort: Deutschland-Polen in der ehemaligen mongolischen DDR-Botschaft mit Soziologie-Studenten, Kleinsbildschirm unterm Apfelbaum und Tofu-Bratlingen auf dem Grill.

Der temporärste Guckort: Italien-Tschechien in der Adidas-Arena, dem als Zelt nachgebauten Olympiastadion auf der Reichstagswiese - da, wo immer Kicken verboten war.

Der komfortabelste Guckort: Argentinien-Serbien in Marios Wohnzimmer mit Fernsehteller und ans TV-Bild angepasster Hintergrundbeleuchtung.

Der blödste Guckort: 2. Halbzeit Deutschland-Schweden, morgen am Check-In-Schalter von Lufthansa am Flughafen Berlin-Tegel. Voraussichtlich mit Übergepäck.

1 Comments:

Anonymous Anonym said...

Wo liegt denn das "Spindler&Klatt"? Bettlounge klingt jedenfalls vielversprechend.

Mittwoch, 28 Juni, 2006  

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