29.9.05

Für die Heimatzeitung

Allgäuer Zeitung, Füssener Blatt, Samstag, 24. September 2005, Nummer 221
Eine Alm im Wolkenkratzer
Liebe zur Architektur hat den Pfrontener Florian Pischetsrieder bis nach Chicago geführt
Von Christian Thiele, Chicago
Manchmal kann sich Florian Pischetsrieder nur wundern über die Amerikaner. Neulich zum Beispiel stand er in Chicagos berühmtestem Architektenbüro, bei Skidmore, Owings & Merrill, und einer der dortigen Oberbaukünstler erzählte ihm mit leuchtenden Augen von deren neuester Innovation: Erdwärmenutzung! „Mein Opa hat das seit 20 Jahren daheim", sagt Pischetsrieder, und schüttelt lächelnd-ungläubig den dun-kelblonden Lockenkopf.
Der 24-Jährige Pfarrerssohn aus Pfronten studiert am Illinois Institute of Technology in Chicago, einer der wichtigsten Architektenschmieden weltweit. Wie nachlässig Amerika mit den Naturressourcen umgeht, wie unendlich langsam der Umweltschutz dort in die Köpfe kriecht - als guter Allgäuer kann Florian Pischetsrieder das nur schwer begreifen. „Hier an der Uni-Mensa bekomme ich alles auf Plastikgeschirr serviert - unglaublich, was da Tag für Tag weggeschmissen wird!"
Ein Haus hat vier Ecken zu haben, mit einem roten Dach und Geranien vor dem Balkon, wie halt ein Haus in Pfronten aussieht: So wächst Pischetsrieder auf. Dann kommt der Leistungskurs Kunst am Füssener Gymnasium. Kunstlehrer Peter Schlosser zeigt Dias von den Bauhaus-Künstlern - und Florian fängt Feuer: „Wie die alle Formen von Kunst und sozialem Zusammenleben vermischt haben, das hat mich total beeindruckt." Bislang ein mäßig interessierter Schüler, glüht er plötzlich für seine Facharbeit, einen Ausstellungspavillon. Kurz vor Abgabe meldet er sich krank, tagelang, damit er von früh bis spät an seinem Modell herumbasteln kann. Schließlich bekommt er -derZweier-, Dreier-Schüler — eine glatte Eins.
Dann noch das Praktikum bei einem Architekten in Augsburg, und Pischetsrieder ist sich sicher: Das ist sein Ding! Sein 2,7-Abitur reicht nicht aus für den Haupteingang: Die Zentralstelle für die Vergabe von Studienplätzen (ZVS) lehnt ihn ab, aber dann klappt es durch die Hintertür. Die Bauhaus-Universität in Weimar akzeptiert seine Eigenbewerbung, er packt Laptop, CDs und Klamotten in zwei Kisten, die Eltern fahren ihn zum neuen Studienort.
In Weimar am Lehrstuhl für Geschichte hört Pischetsrieder dann immer mehr von den Wolkenkratzern in Chicago und deren Baumeistern. Und beschließt weiterzuziehen, nach Chicago, ans Illinois Institute of Techno-logy (l IT). Jenes Institut, das der Bauhaus-Doyen Ludwig Mies van der Rohe nach seiner Flucht vor den Nazis in Chicago gründete und weltberühmt machte. Dort studiert jetzt Pischetsrieder. Mit hochgestelltem Hemdkragen und einem kleinen weißen Gummiband am Handgelenk: „Was würde Mies tun?", steht darauf.
250 Meter hoch
Tja, was würde Mies van der Rohe, der große Meister schnörkelloser Schönheit, jetzt machen? Das fragt sich Pischetsrieder, denn gerade plant er ein Hochhaus für einen deutschen Investor. Eigentlich ein Studienprojekt, aber vielleicht wird ja daraus ein wirklicher Bau aus Stahl, Beton und Glas. 250 Meter hoch, 85000 Quadratmeter Fläche, Wohnungen, Büros, eine Disco — das sind die Vorgaben. Die Kühnheit des Projekts reizt Pischetsrieder: „In Deutschland analysiert man ein Vierteljahr herum, muss sich mit Ausschreibungen herumschlagen, die städtebauliche Präsenz abchecken, und am Ende kommt dann doch nur eine Garage heraus. Hier kann man ganz anders planen", sagt der Pfronte ner. In das 50. Stockwerk seines Modells will er ein Cafe einbauen. „Meine Alm, sozusagen."
Die gigantischen Häuserschluchten, der Straßenlärm, das Gewusel: Einerseits ist Chicago eine ganz neue Welt für Pischetsrieder. „Aber wenn ich so durch die Straßen laufe, dann öffnet sich da ein Winkel und schließt sich dort einer, mal fällt von hier die Sonne ein und mal ein Schatten von da — eigentlich gar nicht so anders als bei einer Bergtour in den Alpen!" Die Heimat hat ihn geprägt.
Dass die Leute mal sehen...
Zum Beispiel die evangelische Auferstehungskirche in Pfronten-Heitlern, an der sein Vater als Pfarrer predigte. Sie war anfangs gar nicht sein Fall. Die katholische Pracht, das Gold, die Bilder, all das fehlte ihm als Kind. „Aber dann fand ich mehr und mehr, dass das ein Raum ist, der einem Platz zum Denken lässt, und fühlte mich wohl darin." Jetzt, wenn er im Allgäu ist, bedauert er manchmal die Eintönigkeit der „Jodeldächer", wie er sagt. Sein Traum: In der Heimat ein modernes Gemeindezentrum bauen oder eine Schule. „Nicht um irgendwen vor den Kopf zu stoßen, aber dass die Leute mal sehen, dass man auch anders leben kann."
Im Anlauf ist er schon. Gerade haben sich seine Eltern in Zell einen Altersruhesitz gekauft, jetzt soll ein Wintergarten her. „Mein Vater meinte, den kauf ich mir beim Baumarkt. Aber ich konnte ihn davon noch mal abbringen. Ich lass mich ja auch nicht einfach in Los Angeles auf der Straße trauen. Das hat er dann verstanden." Florian machte ein paar Entwürfe, die eigentliche Planung hat aber ein Pfrontener Architekt. „Ich bin ja noch nicht so erfahren, und am Ende sitzen meine Eltern mit nassen Füßen im Wintergarten - das will ich ja auch nicht."