Halb Heim-, halb Auswärtssieg
Deutschland gegen Argentinien, erlebt in der deutschen Botschaft in Buenos Aires(erschienen in der "Allgäuer Zeitung"...)
Christian Thiele, Buenos Aires
Der Zeitungsverkäufer auf der Avenida Cabildo scheint schon zu ahnen, dass sein Land heute einen schlechten Tag hat: „Pass auf, dass sie Dich nicht verprügeln hinterher“, sagt er, 90 Minuten vor dem Spiel, als er meiner schwarz-rot-gelben Backenbemalung gewahr wird. Ich aber muss mir keine Sorgen machen, das Spiel wird an sicherem Ort geguckt. Im Berliner Olympiastadion machen sich die beiden Mannschaften warm.
Rund 12.000 Kilometer Richtung Südwesten sind 200, 250 Menschen in die deutsche Botschaft in Buenos Aires gekommen. Ein schöner Ort, mit Bäumen, Swimmingpool und Tennisplatz, eine Oase. Ein Ort, an dem man normalerweise mit gedämpfter Stimme spricht und die gemeinsamen deutsch-argentinischen Interessen betont. Kein Ort, an dem man „Einer geht noch“ gröhlt oder eine gelbe Karte für Argentinien bejohlt. Aber heute ist vieles anders, heute ist Viertelfinale.
Der Pressechef hat seine Krawatte abgelegt, dem Botschaftshund man das Fell schwarz-rot-gelb und weiß-blau besprüht, der Referent von der Bundesbank hat sich ein DFB-Trikot übergezogen: Deutschland macht sich locker. Es gibt argentinischen Malbec-Wein und deutsches Bier, Bockwürstchen und Teigtaschen. „Liebe Fans“, begrüßt der Botschafter die Gäste, und empfiehlt gegenseitiges Trosttrinken nach dem Abpfiff. „Doit-schland, Doit-schland“: Eine Gruppe von Zivildienstleistenden und Sozialjahrmädchen macht Stimmung, „Arr-chen-ti-na, Arr-chen-ti-na“ halten die heimischen Botschaftsbediensteten entgegen. Großer Jubel, als Blau-Weiß in Führung liegt – hat Deutschland hier nun Heim- oder Auswärtsspiel.
„Wir essen, trinken, kauen Fußball“, sagen Argentinier gerne, Fußball ist hier Religion. Die Leidenschaft für den falschen Verein kann Freundschaften sprengen, Beziehungen ruinieren. In diesen Tagen ist der „Mundial“, die WM, immer und überall im Mittelpunkt. In den Cafés, in der Kinowerbung, in den Schaufenstern. Museen, Behörden, Universitäten, alles schließt bei Argentinienspielen. Die Freundschaften zu Argentiniern wollte ich lieber nicht mit einer gemeinsamen Betrachtung des Spiels belasten. Wir sind stattdessen zum Abendessen verabredet, wollen – je nach Spielausgang – das „Wunder von Bern“ gucken oder einen Dokumentarfilm über Diego Maradona.
Für den Fall eines Argentiniensieges habe ich den Kauf eines weiß-blauen Trikots versprochen. Als es zum Elfmeterschießen kommt, ahne ich, dass das erstmal im Sportgeschäft bleiben kann. „Lehmann, Lehmann, Lehmann“ singen die Zivildienstleistenden beschwörend, es hört sich an wie ein Stammesgesang. Die Argentinier werden still und stiller, und dann ist das Spiel aus.
Vor dem Botschaftszaun sind Polizeiwagen aufgefahren, zum Schutz. Aber die Sonne scheint, es ist ein klarer, kalter Tag im südlichen Winter, und über Argentiniens Hauptstadt legt sich leise Melancholie statt rasendem Zorn. „Ihr habt die Partie gekauft“, grölen ein paar Jungs, aber sie wirken traurig dabei. Schweigen, großes Schweigen, im Café, in der Umkleidekabine meines Sportstudios, auf der Straße. Wie ein Film, bei dem der Ton abgedreht ist, eine Traurigkeit, die ansteckt.
Erst zu Hause fällt mir ein, dass es einen Grund gibt zu feiern: Ein Zettel ist unter der Tür durchgeschoben, von Ismail, dem pakistanischen Wachmann. „Glückwunsch“, steht drauf, „ich freue mich für Euch.“ Eigentlich hat er recht.
1 Comments:
Leider nicht zu lesen BP
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